Ostergruß 2021
Ist das Leid wirklich Sinnlos?
Liebe Gemeinde, das zweite „Corona-Osterfest“ wird angeläutet. Wie wird es uns dabei gehen, die Karwoche nun wieder im Lockdown zu feiern? Für mich ist es schmerzhaft – und ich vermute, dass Sie es ähnlich empfinden. Unterschiedliche Reaktionen sind nachvollzielbar. Wenn wir in eine unbekannte bedrohliche Situation kommen, fühlen wir uns ausgeliefert. Entweder wir fallen in die Schockstarre oder wollen aktiv werden und reagieren mit panischem Aktionismus. Sobald wir etwas getan haben, auch wenn es noch so irrational ist, fühlen wir uns erleichtert. Als im März 2020 der Corona-Lockdown angekündigt wurde haben viele von uns mit panikartigen Einkäufen reagiert, Waren des täglichen Bedarfs gehamstert. Hefe und Klopapier waren Spitzenreiter und lange ausverkauft. Aus heutiger Sicht eine lächerliche Reaktion.
Auf unterschiedliche Weise setzt sich der irrationale Umgang mit der Bedrohung jedoch bis heute fort. Dabei machen alle möglichen und unmöglichen Erklärungstheorien und Vorschläge zur Bekämpfung der Pandemie die Runde. Populisten versuchen aus der Angst politisches Kapital zu schlagen. Geschäftemacher nutzen die Not schamlos aus. Zum Glück gibt es da noch Menschen, die kühlen Kopf bewahren. Ihnen gelingt es, durch rationalen Umgang besser mit der Situation klarzukommen. Durch simple Maßnahmen wie Abstandhalten, Mund- und Nasenschutz sowie Händedesinfektion können wir uns weitgehend vor Ansteckung schützen. Das hatten wir bald gelernt, es ist uns in Fleisch und Blut über gegangen.
Wie aber lassen sich unserer Panik, unsere Niedergeschlagenheit und unsere düsteren Gedanken verstehen? Es ist einfach: Immer ist Angst vor dem Leiden im Spiel. Dank des Wohlstands der letzten Jahrzehnte haben wir es geschafft, das Leid an den Rand zu drängen. So haben wir es einfach verlernt, mit Leid umzugehen. Leidensfähigkeit aber ist im Grunde eine Voraussetzung für Wachstum; sie hilft bei der Selbstreflexion, stärkt die Kraft zur Veränderung, lässt uns reifen und über uns selbst hinauswachsen, uns selbst zu transzendieren. Das Leid ist unvermeidlich und sogar natürlich, so steht das Leiden schon am Anfang unseres Lebens: Für Mutter und Kind ist die Geburt ein Vorgang voller Leid und Schmerz. Und doch ist die Geburt das Tor zum Leben. Die Heilige Woche führt uns diesen Zusammenhang theologisch sinnenhaft vor Augen: das Leiden geht der Auferstehung voraus; trotzdem haben wir Angst davor! Ziel und Sinn des Lebens aber sind nicht materielle Werte im Überfluss. – Denn die sind am Ende wirklich überflüssig!
Der Sinn unseres Lebens ist die Reife der menschlichen Seele! Und auch dieses Reifen geht nicht ohne leidvolle Erfahrungen. Das gilt auch für Jesus. Welchen Sinn hatte also das Leiden Jesu? Jesus erkennt, dass sein Weg ein leidvoller sein wird und er versucht dies seinen Jüngern klarzumachen. Sie aber verstehen ihn nicht. Sie verdrängen die Möglichkeit des Leidens. Da sind die Jünger uns ganz ähnlich: Kein Mensch sucht das Leid freiwillig. Solange wir nur können, drängen wir den Gedanken an das Leid aus unserem Leben. Wenn jemand ein schweres Leid trifft, neigen wir dazu es als ein bedauerliches Einzelschicksal zu betrachten. Nichts scheint uns sinnloser als das Leiden. Im Leiden etwaige Sinnhaftigkeit zu suchen scheint uns völlig absurd, darüber nachzudenken Gedankenverschwendung.
Einmal greift Jesus in der Erklärung seines Leidens auf ein Bild aus der Natur zurück und bietet es auch uns als Hilfe zum Verstehen des Leidens an. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ (Joh. 12,24). In dieser Sichtweise ist das Sterben des Weizenkorns nicht Tod sondern Verwandlung. Als Verwandlung bringt es neues Leben hervor. Tatsache ist: Wenn uns Leiden (z.B.: Corona) auferlegt ist, bedeutet dies immer einen schmerzhaften Einschnitt in unser Leben. Meist verändert es Gewohnheiten und Abläufe. Wir unternehmen alles Mögliche – Rationales und Irrationales – um Leid abzuwenden. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Leidsituationen uns nicht nur mit der Frage nach dem Sinn des Leidens konfrontiert, sondern mit der grundsätzlicheren Frage nach dem Sinn des Lebens. Schließlich gelangen wir zur Frage, ob es noch einen letzten Sinn gibt, wenn wir das jetzige Leben ganz loslassen müssen. Führt uns nicht so, die Frage über das Leid zu den großen Fragen des Lebens? Gibt es überhaupt bedeutsamere Fragen in und für unser Leben?
Diese Fragen öffnen Fenster und Türen zur Osterbotschaft. Leiden und Sterben gehen der Auferstehung Christi voraus. Das bedeutet: Leid und Tod haben nicht das letzte Wort! Jesus hat in seiner Beziehung zum Vater den Tod überwunden und uns so den Weg zum Vater gezeigt. Leben bedeutet: Herausforderungen, auch Leid im Blick auf die Auferstehung anzugehen. Denn die Auferstehung ist uns in Jesus Christus zugesagt. Wer am Ende mit IHM auferstehen wird, muss sein Leid im Sinne Jesu annehmen. Unser aller Leiden an der Pandemie kann in jedem einzelnen einen (Lern-)Prozess einleiten, der in unvorhersehbarer Weise Früchte trägt. Für uns stellt sich in diesen Tagen unausweichlich die Frage: Kann ich diese entbehrungsreiche Zeit annehmen und kann ich mich der Führung Gottes anvertrauen damit neue Früchte wachsen können und mein Leben einen jetzt noch verborgenen Sinn findet.
Im diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen, auch im Namen des Pfarrteams, ein gesegnetes Osterfest, ein im Herzen frohes Fest der Auferstehung und des neuen Lebens. Bleiben Sie gesund.
Ihr Pfarrer,
Emeka Ndukaihe