Aktuelles

Die Rassismusfrage und die Begegnungen Jesu?

In den letzten Monaten ist Rassismus wieder zum politisch-gesellschaftlichen Diskussionsthema geworden. Um diese Diskussion theologisch auszubreiten nehmen wir zuerst an, dass Jesus doch nicht rassistisch ist! Oder? Gottes Nähe zu suchen, Gottes Heil zu erhoffen und Gottes Liebe zu erfahren, dazu sind doch alle Menschen berufen. Die Hautfarbe, Rasse oder die Zugehörigkeit zu einem Volk, zu einer Kultur oder Religion spielen da keine Rolle. Das müssen wir Menschen allerdings immer wieder neu begreifen. Im Hintergrund stellen wir uns immer wieder die Frage: „Wer gehört zu uns und wer nicht?“ Und an dieser Frage scheiden sich oft die Geister in den Familien und Freundeskreisen, Gemeinschaften und Gesellschaften. Die Angst vor Fremden, die Unsicherheit vor Andersdenkenden und die Ablehnung anderer Lebensentwürfe sind Urängste und sie schlummern bis heute in jedem Menschen.

In der Bibel (auch bei Jesus) ist die Begegnung mit Fremden ein immer wiederkehrendes Thema. In den Evangelien ist oft von Menschen die Rede, die mit ihren Bitten und Anliegen zu Jesus kommen. Meist bitten sie um Heilung für sich oder einen ihrer Angehörigen. Die Erzählung von der heidnischen Frau (Matthäus 15,21-28) ist ein Beispiel. Diese ist aber in einen schwierigen Textzusammenhang eingebettet. Von Jesus wird uns hier eine Reaktion überliefert, die ganz und gar nicht in das Bild passt, das die Evangelisten sonst von Jesus vermitteln. Die ganze Art, wie Jesus mit der Frau umgegangen ist, wirkt zunächst abstoßend und verstörend. Kein Wort der Anteilnahme, des Mitleids, des Verständnisses für die Not der Frau; einfach blanke Ablehnung. Und seine Begründung der Ablehnung scheint eben rassistisch zu sein. Kann jemand mit so großer Distanz antworten, der von sich behauptet, der Heiland und Erlöser der Menschen zu sein? Da ist doch eine Mutter, die in ihrer Not um Hilfe für ihre Tochter bittet. Wer hätte dafür kein Verständnis? Was ist nur in Jesus gefahren, dass er mit der Frau so reden kann?

Nein! Jesus kann man Rassismus nicht vorwerfen. Ich glaube, hier haben wir einen Text vor uns, den man nur mit Hintergrundwissen richtig verstehen und auslegen kann. Die Gemeinden, in denen Matthäus wirkt, sind stark durchsetzt mit Judenchristen, die noch sehr von der Idee geprägt sind: Der Messias ist ausschließlich für das auserwählte Volk Gottes. Die Nicht-Jahwe-Gläubigen, die Heiden bezeichnete man gern abfällig als „Hunde“, die (nach den Vorstellungen der Juden damals) grundsätzlich keinen Anteil am Heil zu erwarten hatten. In diese Situation hinein stellt Matthäus seinen Bericht von der Begegnung Jesu mit der kanaanäischen Frau. Dabei nimmt Matthäus, geschickt, das Gedankengut und die Argumente der Judenchristen und legt sie in den Mund und das Verhalten Jesu. In der Tat aber war Jesus immer wieder in seiner Messianischen Rolle aus diesem Gedankengut ausgestiegen und auch den Fremden mit Heilzuspruch begegnet.

Vor allem dürfen wir der Tatsache entnehmen, dass uns hier berichtet wird, dass Jesus im Gebiet der Heiden war, in das Gebiet von Tyrus und Sidon. Wenn Jesus wirklich überzeugt gewesen wäre, er sei nur der Messias für Israel, was hätte er dann bei den Heiden gesucht? Darüber hinaus hatte er doch vorher den Knecht des heidnischen Hauptmanns von Kafarnaum geheilt. Matthäus wollte einfach zeigen, dass Jesus sich den Heiden öffnet und nicht bei der alt überlieferten Vorstellung der Juden über den Messias stehen bleibt. Er wollte auch verdeutlichen in welchem Ausmaß die Juden den Heiden oft Unrecht tun in ihrem Denken über sie. Dies beweist Jesus auch mit seiner Geschichte vom barmherzigen Samariter. Schließlich hat diese heidnische Frau das, was vielen Juden in ihrer Überheblichkeit fehlt: Das tiefe Vertrauen, dass Gott alle Menschen liebt und Heil schenken will. Tatsächlich, ohne die Judenchristen anzuklagen, spricht Matthäus ihnen mit dieser Perikope sehr deutlich ins Gewissen.

Interessanterweise lässt sich die Frau ihrerseits nicht durch den Hochmut Jesu zum Zorn reizen. Welch eine gestandene, gelassene Frau! Ruhig und sachlich antwortet sie Jesus sinngemäß: Wenn wahr ist, was die Juden von ihrem Gott Jahwe erzählen, dann wird auch für uns, die Heiden, etwas von den Gaben Gottes abfallen. Sie ist überzeugt und glaubt daran, dass Gottes Herz allen, auch den Nicht-Juden, weit offen steht – egal wie gering die Juden über sie denken. Deutlicher kann Matthäus sein Anliegen nicht darstellen. Jeder, so hofft er, wird sich die Frage stellen müssen: Wie gehe ich mit denen um, von denen ich glaube, dass sie weniger in der Gunst Gottes stehen? Ja! Damit die „Gläubigen“ in ihrem Nachdenken die richtige Antwort für sich finden, schildert Matthäus in der Person Jesu eine Art Bekehrungsprozess. Gottes Liebe lässt niemanden aus; das möchte Matthäus jedem einhämmern. Denn Jesus ist Heiland für alle.

Nun, übertragen wir die Begebenheit und das Anliegen des Evangelisten auf uns. Da frage ich mich: Über wen denke ich gering? Wen meine ich, dass er in den Augen Gottes nicht besonders gut dasteht? Wem würde ich wünschen, dass Gott ihm besondere Hilfe verweigert? Neben dieser Frage für unser Gewissen möchte uns Matthäus die kanaanäische Frau als Vorbild vor Augen stellen. Sie weiß, dass arrogante Menschen ein lockeres Mundwerk haben und mit Beleidigungen nicht vorsichtig umgehen. So lässt sie sich weder durch Worte reizen noch durch Ablehnung beleidigen. Ihr Glaube an die Liebe Gottes lässt sie in ihrer Bitte beharrlich bleiben. Wie schnell und tief sind wir oft beleidigt, wenn unsere vorsichtigen Bitten nicht wahrgenommen werden, oder wenn wir billig abgewimmelt werden? Wie schnell geben wir auf, wenn unsere Ideen, Vorstellungen und Wünsche in den Wind geschlagen werden? Ja! In solchen Situationen, wo wir in der Rolle der heidnischen Frau stecken, sollen wir uns an sie erinnern und wissen: Mögen Menschen auch stur in ihren Vorstellungen uns gegenüber verharren und ihr Denken nicht ändern wollen, Gott wird immer auf unsere Bitten eingehen – solange wir in ihn vertrauen. Diesen Glauben dürfen wir uns nicht nehmen lassen – nicht einmal durch Enttäuschungen. Rassismus kann nur wirken, wenn wir uns ihm beugen. Jede Begegnung ist eine Herausforderung und ein Aufruf gegen den in uns schlummernden Rassismus.